Man sieht nur mit der Nase gut! Blinde Hunde 9/2010

„Man sieht nur mit der Nase gut!“ Das hat unser blinder Neuzugang William bereits festgestellt. Der junge French Bulldog Rüde kam mit einer leeren und einer auslaufenden Augenhöhle zu Retriever in Not e.V. / Liberty for Dogs, ebenso wie Shih Tzu Dame Silla. In einer Operation musste beiden das restliche Auge entfernt und die Augenhöhlen geschlossen werden. Silla litt zudem unter sehr schlechten Zähnen. Sie konnte kaum etwas kauen und war so abgemagert, dass die Hilfe von Retriever in Not e.V. / Liberty for Dogs noch gerade rechtzeitig kam: Im Tierheim war sie zwischen den vielen sehenden Hunde kaum an das Futter gekommen. Wenn sie etwas ergattert hatte, war das Fressen sehr schmerzhaft für sie, so dass sie kaum noch etwas zu sich nahm.

Viele ausgediente Zuchthunde, die der Verein aus der Massenvermehrung übernimmt, sind gesundheitlich schwer angeschlagen. Zur Zeit haben wir auch einige Hunde aufgenommen, die aufgrund verschiedener Augenleiden erblindet sind und operiert werden mussten, teilweise mussten beide Augen entfernt werden. Zurzeit erholen sie sich in ihren Pflegefamilien von den Eingriffen und werden medizinisch betreut.

Schon mehrfach haben wir in der Vergangenheit blinde Hündinnen aus Massenzuchten aufgenommen. Ob blind oder nicht, ist für die Welpenproduktion egal: jede Hündin, die sich um ihre Jungen kümmert, steigert den Profit. Eine blinde Hündin macht wenig Scherereien und kann auch in einem dunklen Verschlag gehalten werden. Einige unserer blinden Zuchtmuttis hatten geblendete Augen, wie die blinde Peronella, die mit ihrer Schwester in einem dunklen Kellerverschlag gehaust hatte. Ob die Verletzungen aus Unfällen herrührten oder absichtlich herbeigeführt worden waren, können wir nicht sagen.

 Haben alle ehemaligen Zuchthunde schon fast nichts von der Welt kennengelernt, kennen kaum Geräusche, kaum Gerüche, keine Umweltreize, so gilt das für blinde Zuchthunde besonders. Blindheit bei den Pflegehunden ist deswegen für unsere Pflegestellen immer eine besondere Aufgabe. Die Hunde müssen langsam an die neuen Erfahrungen herangeführt werden und jede Kleinigkeit erst lernen. Blinden Hunden stehen dafür größtenteils nur die Nase und das Gehör zur Verfügung. Diese beiden Sinne sind bei blinden Hunden noch stärker ausgeprägt als bei sehenden. Sie haben gelernt, sich auf ihre verbliebenen Fähigkeiten zu konzentrieren. Jetzt in der Pflegefamilie müssen sie lernen, sich in einer Wohnung zurecht zu finden, die noch fremden Gerüche und Geräusche einzuordnen, und die vielen neuen Reize zu verarbeiten. Das ist für blinde Hunde eine ganz besondere Herausforderung.

Und für die Pflegefamilie auch - nicht jede Pflegestelle traut sich diese Aufgabe zu. William und Silla zeigen uns, dass sich auch blinde Hunde gut orientieren können. Mit viel Verständnis wurde William von seinem Pflegefrauchen zunächst in die neue Umgebung eingeführt: Jeden Tag lernte er einen neuen Raum in der Wohnung kennen – und überraschte mit großen Fortschritten wie Stubenreinheit und den Mut, auch Treppen zu überwinden. Er genießt das Leben und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Selbst wenn er sich mal erschreckt, bleibt er recht gelassen und hüpft höchstens mal ein Stück nach vorn. Silla hatte das Glück, in einem Hunderudel aufgenommen zu werden. Hier spürt sie die anderen Hunde um sich herum, das gibt ihr Orientierung und ein Gefühl von Sicherheit.

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Auch die French Bully Dame Jaina hat ihr Augenlicht verloren. Sie litt an einem Glaukom, als sie zu Retriever in Not / Liberty for Dogs kam. Ein Auge musste operativ entfernt werden. Jaina erschnüffelt sich den Weg ins richtige Hundeleben. Dabei ist sie - ebenso wie die kleine Silla - sehr kommunikativ und mischt sich auch unter die anderen Hunde. Sie war mit ihrer Pflegefamilie sogar auf dem Sommerfest einer Hundeschule und hat sich dort – inmitten der vielen anderen Hunde - sehr gut bewegt und fröhlich gespielt. Jaina liebt diesen Hundekontakt und fühlt sich zwischen Artgenossen sehr wohl. Vermutlich erfährt sie so auch über die anderen Hunde, dass die Welt um sie herum in Ordnung ist.

William, Silla und Jaina beweisen, dass das Zusammenleben mit blinden Hunden keine dauerhafte Einschränkung im Lebensalltag sein muss. Kennen die Hunde erst einmal ihr vertrautes Umfeld, fällt dem Menschen ihre Blindheit kaum noch auf. Wenn blinde Hunde kontaktfreudig und wenig schreckhaft sind, können sie ein ganz normales Hundeleben führen. Ihre Umgebung erschnüffeln sich die Hunde von ganz allein, alle Hunde sehen mit der Nase, auch die, die kein Augenlicht verloren haben. Das Wichtigste ist, dass wir Menschen einen blinden Hund nicht zu sehr bemitleiden, sondern ihm vielmehr das Gefühl geben, ein völlig normaler Hund zu sein.

Die Eingewöhnung können wir Menschen unterstützen, indem markante Stellen wie Liegeplätze etwa mit "Geruchsproben" gekennzeichnet werden. Annäherung funktioniert gut, indem sich die Bezugspersonen zunächst mit einem Glöckchen in der Hand ankündigen. Idealerweise sind diese Glöckchen ans Hand- oder Fußgelenk gebunden, damit der Hund lernt, den Menschen richtig einzuschätzen. So gibt es viele kleine Tricks, die den Hunden helfen, sich auf Geräusche und Gerüche zu konzentrieren. Das Leben mit einem blinden Hund wird sich schon nach einer kurzen Eingewöhnungszeit kaum vom Zusammenleben mit einem sehenden Hund unterscheiden.

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