Geboren um zu leiden - Ein Hundeleben in der Gitterbox 11/2009

Die English Bulldogge Fortuna kommt aus Käfighaltung. Aus einer Zuchtstation, wo kleine Hunderassen in kleinen Käfigen gehalten werden. Die Boxen aus manchmal verdreckten und durchweg verrosteten Gitterstäben werden übereinander gestapelt zu Türmen, daneben noch ein Turm und noch einer, die ganze Wand entlang. So können Hunderte von Hunden auf kleinstem Raum untergebracht werden. Wenn die Hunde Glück haben, ist der Boden der Gitterbox geschlossen und mit einem Stück Teppich oder ein bisschen Stoff ausgelegt. Wenn sie Pech haben, müssen sie ihr Leben lang mit ihren weichen Pfoten auf den schmalen rostigen Gitterstäben balancieren. Kot und Urin suchen sich ihren Weg nach unten und laufen einfach eine Etage tiefer. Wenn es ganz schlimm kommt, sind in jeder Box zwei, manchmal sogar drei Hunde untergebracht. Ganze Welpenwürfe werden in den Käfigen eng zusammen gepfercht. Oft können sich die Hunde gar nicht umdrehen, ohne über die anderen zu steigen. Fortuna war Zuchthündin und hat ihr ganzes Leben in solch einer Box verbracht.

Als Fortuna gerettet wurde, war sie zwei Jahre alt und nur noch ein Häufchen Elend. Sie wog gerade mal 14 kg und war kaum so groß wie ein Mops. Und sie konnte nicht laufen. Stattdessen robbte sie auf ihrem Oberkörper vorwärts. Auch sonst konnte sich die kleinwüchsige Bulldogge kaum bewegen. Ihre Vorderbeinchen waren eingeknickt und zeigten das so genannte Entenfüßchen-Syndrom. Solche Deformierungen können auftreten, wenn in der Wachstumsphase Mangelernährung und Bewegungsmangel zusammentreffen und die Gelenke zu wenig Nährstoffe bekommen. Die Hunde können dann vor Schwäche ihr eigenes Gewicht nicht halten und knicken immer mehr auf ihren Pfoten ein, bis sie, anatomisch gesehen, auf der „flachen Hand“ laufen - auf so genannten „Entenfüßen“.

Fortunas Hinterläufe waren außerdem merkwürdig verdreht, sie benutzte sie fast gar nicht. Ein Beinchen sah seltsam verbogen aus, das andere stellte sich beim Aufstehen quer. Wie sich später herausstellte, kann Fortuna ihre Kniegelenke überhaupt nicht beugen, ihre Hinterbeinchen sind völlig steif. Auch die unbehandelten Krallen behinderten einen festen Stand, weil sie viel zu lang gewachsen waren und sich aus Platzmangel hoch stellten, wenn Fortuna ihre Füße auf den Boden setzte. Mit ihren Augen war auch etwas nicht in Ordnung. Das Auge schaut gerade aus, während sich das andere zur Seite wegdreht. Ihr linkes Auge war gereizt und entzündet. Der kleine Hundepo war bei ihrer Ankunft quittegelb, weil die Arme ständig in ihrem eigenen Urin liegen musste. Sie ist inkontinent und hat keinen Einfluss auf das Absetzen von Kot und Urin.

Selbst für hartgesottene Tierschützer war der Anblick von Fortuna schwer zu ertragen, wenn sie sich auf ihre wackeligen Beinchen stellte und die Retter vertrauensvoll mit entzündeten Augen anblickte. In der Pflegestelle angekommen, blühte die kleine Hündin langsam auf. Sie wurde gebadet und nahm dann auf ein paar Handtüchern Platz. Dort zog sie mit ihrem Mäulchen die Handtücher zu einer kleinen Insel zusammen. Von hier aus streckte sie die erste Zeit vorsichtig ihr Köpfchen über den Rand und guckte um sich, zog ihn sofort zurück, wenn sie unsicher wurde.... Langsam lernte sie, dass ihre neue Welt größer war und nicht mehr gefährlich. Die langen Krallen wurden geschnitten, das Auge medikamentös mit Salbe behandelt. Und schon am nächsten Tag machte sie Kontakt zu den anderen Hunden und robbte aufgeregt von einem zum anderen.

Ihre ersten kleinen Schritte machte sie einige Zeit später bei einem kurzen Miniausflug in die freie Natur. Ganz vorsichtig stellte sie ein Beinchen vor das andere, wunderte sich fast selbst, dass sie vorwärts kam und genoss die ungewohnte Bewegung sichtlich. Plötzlich saß Fortuna in einer Ackerrinne fest. Sie hockte auf dem Po, die Beinchen nach vorne gestreckt und konnte nicht mehr hoch. Die Rinne war kaum 20 cm tief. Zuhause schläft Fortuna sehr viel und man bemerkt sie kaum. Ihr Handicap hat sie mittlerweile besser im Griff. Sie kann aufstehen und ganz langsam ihr Ziel anvisieren, dabei setzt sie vorsichtig ein Beinchen vor das andere, belastet aber immer noch nicht richtig. Ob sie Schmerzen hat, ist nicht zu sagen. Ein Röntgenbild zeigte die massive Zersetzung der Oberschenkelköpfe, die zum Teil schon abgebröckelt sind, und das völlige Fehlen von Hüftgelenkspfannen. Kein Wunder, dass Fortuna nicht richtig laufen kann. Auf dem Grundstück albert und hoppelt sie trotz allem fröhlich mit den Hunden herum. Das ist wichtig für die kleine Hündin, denn damit kann sie Muskulatur aufbauen und ihre kaputten Gelenke entlasten.

Fortunas Nasenlöcher sind zu eng und deswegen dauernd verschleimt. Die Pflegefamilie hilft mit täglichen Kochsalzinhalationen, der Zustand der Nase verbessert sich von Tag zu Tag. Auch das Auge erholt sich, ein kleines Loch in der Hornhaut schließt sich langsam. Wegen der Wachstumsstörungen der noch jungen Hündin werden ein Rachitis-Präparat und Muschelextrakte gegeben. Im Rudel kuschelt sie gern und buckt bei den größeren Hunden an. Oft muss sie getragen werden, weil sie nicht so viel laufen kann. Noch ist ihr Wesen eher ängstlich und unterwürfig, aber so langsam deutet sich an, dass es auch noch eine andere Fortuna gibt, die sicher irgendwann zum Vorschein kommt. Fortuna wird nie ganz gesund werden. Aber sie ist ein kleiner Sonnenschein, der sich jeden Tag das Leben neu erobert.

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Jeder Arztbesuch ist für die kleine Hündin weiterhin der absolute Horror. Beim Versuch, die Hündin tierärztlich zu untersuchen, fürchtet sie sich fast zu Tode. Während einer Untersuchung kollabierte sie vor lauter Angst, sie atmete nicht mehr, der Bauch krampfte und dann sackte sie zusammen. Der Arzt musste eingreifen, um sie ins Leben zurückzuholen. Fortuna hat panische Angst vor Männern. Kaum auszudenken, was der kleinen Hündin alles in ihrem Leben widerfahren ist. Ihre Genitalien weisen untypische Verletzungen auf. Diese können von einem Missbrauch herrühren oder „nur“ von roher Gewaltanwendung bei dem Versuch, die unwillige Hündin zu decken. Weder das eine noch das andere kann bewiesen werden.

Wie viele von Fortunas Vorfahren auch schon in solchen Mini-Käfigen gehalten wurden, weiß keiner. Die Deformationen haben sie jedenfalls von einer Generation an die nächste weitergegeben. Inzucht und die hemmungslose Ausbeutung der kleinen Körper durch ständige Geburten schon von klein auf an tun ihr Übriges. Zu Recht werden solche Hundefabriken als Qualzuchten gebrandmarkt. Bei der Kastration einige Wochen später stellte der Tierarzt fest, dass die erst zweijährige Hündin schon mehrere Kaiserschnitte über sich ergehen lassen musste. Ihr Muttermund war deformiert und schlaff, die Gebärmutter entzündet und die Eierstöcke mit Zysten übersäht. Folge eines erst so kurzen Lebens als Zuchtmaschine in einer Billigwelpenproduktion.

Wie eine solche Welpenfabrik (englisch: Puppy Mill) mit Käfighaltung aussehen kann, zeigt der Film über eine beeindruckende Rettungsaktion von Zuchthunden durch amerikanische Tierschützer:

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